Während der Coronakrise haben sich viele gefragt, ob ihre finanzielle Zukunft wirklich sicher ist. Gleichzeitig fürchtet sich so mancher vor den vermeintlich undurchsichtigen Finanzmärkten. Und vor dem, was noch kommt. Angst ist jedoch ein schlechter Ratgeber bei der Altersvorsorge, sagt Michael Reeg, CEO bei Hoesch & Partner, im Gespräch mit Helmut Karrer. Lesen Sie hier, welche Tipps der Experte zur privaten Vorsorge gibt.
Helmut Karrer: Die vergangenen Monate haben uns allen gewisse Sorgen bereitet, beruflich wie privat. Die aktuell galoppierende Teuerung macht es nicht besser. Die persönliche Absicherung ist dabei ein wichtiges Thema. Haben Sie das in Ihrer Praxis auch gespürt?
Michael Reeg: Ja, die aktuellen Umstände haben viele Menschen dazu verleitet, sich mehr Gedanken über ihre Zukunft zu machen. Ganz oben auf der Liste stand dabei die Beschäftigung mit den Themen finanzielle Sicherheit und Altersvorsoge. So manch einer fragt sich: Wie steht es um meine Lieben, wenn ich krank werde und sterbe? Und was ist, wenn ich überlebe, aber berufsunfähig werde? Und überhaupt: Habe ich generell für Krisenfälle und Alter gut genug vorgesorgt? Das sind Fragen, die wir uns alle stellen sollten.
Helmut Karrer: Und was wäre Ihre Antwort?
Michael Reeg: Ich spüre bei den Menschen oft eine große Verunsicherung, da nahezu jede Art der privaten Vorsorge in der öffentlichen Debatte in den vergangenen Jahren in die Kritik geriet: Immobilien? Gelten längst als zu teuer. Aktien? Die sehen viel zu unsicher aus – siehe Wirecard: Da investiert man in ein Dax-Unternehmen und dann ist plötzlich alles weg! Die klassische Lebensversicherung? Für eine Tiefzinsphase, wie wir sie aktuell erleben, wirkt sie ungeeignet. Gleichzeitig pumpen Regierungen und Notenbanken im Rahmen der Corona-Hilfen unglaubliche Summen an Kapital in die Welt. Die so entstandene Verschuldung der öffentlichen Hand können Politiker am leichtesten über Inflation abtragen. Kommt die Geldentwertung tatsächlich, wird auch die mühsam angesparte Rente aufgefressen. Wenn Staaten gegen Verschuldung kämpfen, haben sie ein Interesse an einem langfristig niedrigen Zinsniveau. Bleibt bei dem aktuellen Niedrigzinsumfeld von den Erträgen des Sparplans oder der Riester-Rente also tatsächlich genug übrig, um die persönliche Rentenlücke zu schließen?
Meiner Meinung nach sind aber viele der Warnungen vor Finanzprodukten eher Panikmache als sachlich begründet. Es kommt jedoch darauf an, für den individuellen Fall die richtigen Produkte auszuwählen. Mit entsprechender Beratung ist das in diesen Zeiten nicht gerade ein Kinderspiel, aber es ist durchaus machbar. Denn: Gar nicht für das Alter vorzubeugen oder entsprechende Entscheidungen immer weiter in die Zukunft zu verschieben, ist eine ganz schlechte Idee.
Helmut Karrer: Rentenlücke ist ja hier das Schlagwort, dass man immer wieder hört….
Michael Reeg: Ganz genau.Rentenexperten gehen davon aus, dass Pensionäre 70 bis 80 Prozent ihres Nettolohns als Gesamtrente brauchen, wollen sie beim Lebensstandard keine Abstriche erleben. 80 Prozent reichen, weil viele Ausgaben wegfallen, die das Berufsleben mit sich bringt und in der Lebensphase der Nachwuchs zudem meist finanziell selbständig ist und das Haus abbezahlt. Teilt man jedoch die Standardrente in Deutschland durch das durchschnittliche Jahreseinkommen, ergibt sich ein Brutto-Rentenniveau von rund 45 Prozent.
Die Rentenlücke ist bei vielen Arbeitnehmern also gewaltig. Besonders betroffen sind übrigens Frauen: Sie verdienen weniger als Männer, arbeiten häufiger in Teilzeit und neigen überdies dazu, ihre privaten Versicherungspolicen in der Elternzeit beitragsfrei stellen zu lassen, was sie oft hohe Summen an Ertrag kostet. Laut der OECD-Studie „Renten auf einen Blick 2019“ ist die Rente bei Frauen über 65 in Deutschland heute im Schnitt um 46 Prozent niedriger als die von Männern.
Eichhörnchen-Verhalten ist also angesagt: Wer im Sommer keine Nüsschen vergräbt, verhungert im Winter! Leider ist dieses Wissen in Deutschland nicht gerade weit verbreitet. Nur etwas mehr als ein Drittel der Deutschen interessiert sich für Finanzthemen, wie eine Studie des Bankenverbands vom Juli 2019 ergab. Besonders die Jüngeren, Frauen und einkommensschwache Menschen kümmern sich nicht um Finanzthemen. In anderen Worten: Viele der am meisten von Altersarmut betroffenen Gruppen haben oft das geringste Interesse an finanzieller Absicherung.
Helmut Karrer: Leisten wir mal Aufklärungsarbeit: Was sind denn die häufigsten Wissenslücken?
Michael Reeg: Der erste Lehrsatz lautet: Aktien sind kein Teufelszeug, sondern langfristig betrachtet eine der sichersten Anlageformen überhaupt. Über 30 Jahre gesehen ist der Aktienmarkt in der Rendite kaum zu schlagen. Eine Investition in Einzelpapiere ist jedoch gefährlich, das haben nicht zuletzt die Beispiele Deutsche Telekom oder Wirecard gezeigt. Wer jedoch beispielsweise in einen Indexfonds anlegt, der die größten deutschen börsennotierten Unternehmen in Dax und Mdax abbildet, riskiert dank der breiten Streuung, selbst bei einer Katastrophe im Ausmaß von Wirecard, nur einen Bruchteil seines Einsatzes. Die Faustregel lautet: Je breiter gestreut das Kapital ist, desto sicherer.
Der zweite Lehrsatz ist: Wem es an Disziplin fehlt, wirklich regelmäßig in einen Aktiensparplan einzuzahlen, der sollte über Immobilien nachdenken. Eine Hypothek muss nämlich monatlich bedient werden, sonst gibt es Ärger mit der Bank. So wird wirklich kontinuierlich Eigenkapital angespart und für die Zukunft vorgesorgt.
Der dritte Lehrsatz lautet: Eine „Garantie“ ist nicht immer sinnvoll. Viele Deutsche lieben die Idee von einem Finanzprodukt, das ihnen verspricht, garantiert mindestens das Kapital wieder auszubezahlen, das sie einbezahlt haben. Daher auch die früher übliche Begeisterung für klassische Lebensversicherungen. Im Niedrigzinsumfeld fällt es den Versicherern jedoch zunehmend schwer, diese Garantien mit einem hohen Anteil an festverzinslichen Staatsanleihen sicherzustellen. Moderne Lebensversicherer werden zukünftig nur noch Rückzahlungsgarantien von 60 bis 90 Prozent geben, dafür winken höhere Renditen. So können die Verträge auch mit Aktien, Immobilien und Infrastrukturinvestitionen unterlegt werden. Merke: Die Profis bei den Lebensversicherern setzen auf den Kapitalmarkt und die Privatleute sollten es ihnen nachtun.
Helmut Karrer: Das sind spannende Informationen. Was halten Sie denn von den Insurtechs, die schnell und digitale Lösungen anbieten?
Michael Reeg: Trau, schau, wem! ist hier meine Devise. Das gilt bei jeder Versicherung. Schauen Sie beispielsweise nur die extrem teuren Restschuldversicherungen an, die Kunden angedreht werden, um höhere Kreditsummen abzusichern. Sie sind überflüssig und teilweise fast betrügerisch. Auch der Zank um die Betriebsschließungsversicherungen der Wirte, die wegen der Coronakrise ihre Läden zeitweise dichtmachen mussten, wirft kein gutes Licht auf die Kulanz einiger Anbieter. Der Trend sollte in der Branche zu mehr Transparenz gehen, zu weniger Komplexität und zu deutlich weniger Kleingedrucktem.
Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Banken drängen ins Versicherungsgeschäft und dank Digitalisierung bieten auch immer mehr Insurtechs Policen an, die mal eben über das Handy abzuschließen sind. Beratung gibt es dabei wenig oder gar keine – das kann gutgehen, muss es aber nicht. Dank all dem Kleingedruckten ist es für einen Laien nämlich schlicht unmöglich, verschiedene Produkte und Policen wirklich so gründlich zu vergleichen, dass die richtige Lösung für die individuelle, oftmals komplexe Situation gefunden wird.
Helmut Karrer: Was wäre also Ihr Rat ganz konkret?
Michael Reeg: Online recherchieren, dann aber den Experten fragen. Wer einen neuen Zahnarzt sucht oder auch nur einen guten Friseur, glaubt doch auch nicht einfach einer Online-Anzeige im Internet, sondern fragt herum. Bei Finanzthemen ist das nicht anders: Es gilt, einen Fachmann mit gutem Renommee zu finden, diesem die richtigen Fragen zu stellen und so die richtigen Produkte und Anlageformen für die persönliche Situation zu finden.
Helmut Karrer: Vielen Dank für das informative Gespräch.
Michael Reeg selbst ist seit 1987 in der Versicherungsbranche und absolvierte seine Ausbildung zum Versicherungskaufmann bei der Allianz Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft in Frankfurt am Main. Nach dem Abschluss des Informatikstudiums in Darmstadt, verantwortete er die Erstellung der ersten Internetseite der Allianz Leben und der Allianz Immobilienfinanzierung.
Nach einer flankierend betriebenen Executive Education zum Certified Financial Planner an der European Business School 1999 startete er im gleichen Jahr seine Karriere bei Hoesch & Partner und wurde 2016 zum CEO berufen.
Michael Reeg ist seit 2001 Dozent für Versicherungsbetriebslehre an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht gGmbH. Er publizierte als Co-Autor verschiedene Bücher und Artikel zu Themenkomplexen aus der Versicherungswirtschaft. Darüber hinaus ist er Jurymitglied beim Deutschen Institut für Altersvorsorge sowie Unterstützer des EBS Symposiums, mit über 1.000 Teilnehmern pro Jahr einer der größten Stipendienveranstaltungen in Deutschland.