„Agiles Arbeiten“ heißt das Schlagwort, wenn es derzeit um moderne Arbeitsorganisation geht. Auch von „agiler Führung“, „agiler Organisation“ und „agilen Methoden“ ist oft die Rede. Fragt man Führungskräfte in der Praxis, ob in ihrem Unternehmen „agil“ gearbeitet wird, zeichnet sich jedoch tendenziell ein recht diffuses Bild ab und der Begriff „Agilität“ wird in den verschiedensten Zusammenhängen verwendet.
Um mehr über die Hintergründe und die Vor- und Nachteile dieser Methodik zu erfahren, haben wir uns mit Benjamin Rehberg zum Gespräch getroffen. Er ist Managing Director & Partner der global agierenden Unternehmensberatung BCG. Dort arbeitet er vorwiegend in den Themenbereichen Digitale Transformation, Technologie und Agilität. Somit ist er einer der renommiertesten und erfahrensten Experten weltweit zum Thema „Agiles Arbeiten“.
Agilität ist allgemein definiert als die Fähigkeit eines Unternehmens, sich in einem sich stetig verändernden Umfeld erfolgreich anzupassen und mit ihm zu wachsen. Das Konzept stammt ursprünglich aus der Software-Entwicklung und definiert sich durch iteratives, wert-orientiertes Arbeiten, interdisziplinäre Teams und hohe Teamautonomie bei der Entwicklung neuer Lösungen und Produkte.
Dahinter steht unter anderem der Ansatz, dass Mitarbeiter selbständig, kundenorientiert und über Abteilungsgrenzen hinweg zusammenarbeiten sollen. Diese Autonomie fördert Verantwortung und Kreativität, was zu schnelleren Entscheidungen und einer höheren Umsetzungsgeschwindigkeit führt. Weiterhin verbessern sich dadurch die Fähigkeiten der handelnden Teams. Ein hoher Autonomiegrad funktioniert jedoch nur, wenn es eine klare, gemeinsame Ausrichtung auf Ziele innerhalb eines Teams und über Teams hinweg gibt.
Eine gemeinsame Vision, eine starke Kultur und daraus abgeleitete Unternehmenswerte sind somit die Grundvoraussetzung für agiles Arbeiten.
Immer mehr Unternehmen implementieren agile Arbeitsweisen in ihre Abläufe. Aber nicht nur die Großen. Denn Agilität ist mit Blick auf Kostenersparnis, Kundennähe u.v.m. bereits für Start-ups von Bedeutung und gerade in der Restrukturierung ein Muss. Aus gutem Grund, denn die Ergebnisse sprechen für sich. Nach unseren Erfahrungen reduziert sich die Zeit bis zur Marktreife eines Produktes um mehr als die Hälfte, während sich gleichzeitig die Kundennähe deutlich erhöht. Das Produkt hat einfach mehr Relevanz. Daneben steigt die Mitarbeiterzufriedenheit signifikant und last but not least führt agiles Arbeiten auch zu einer deutlichen Kostenersparnis. Das ist essenziell, um in den heutigen digitalen Märkten erfolgreich bestehen zu können.
Das kommt darauf an, über welchen Zeitpunkt einer Kooperation wir sprechen. Die Veränderung von traditionellen Arbeitsweisen zu agilen ist nicht einfach. Gerade die Führungsriege muss vieles umlernen, darunter einiges, das bisher zum persönlichen und unternehmerischen Erfolg geführt hat.
Eine agile Führungskraft hat im Wesentlichen zwei Führungsrollen: Zum einen die Definition und Artikulation der Ziele, z.B. eines Produktes, eines Teams oder auch mehrerer Teams. Diese müssen mit der Unternehmensstrategie und den gesetzten Prioritäten im Einklang stehen. Zum anderen, die umsetzenden Teams erfolgreich zu machen und hinderliche Barrieren aus dem Weg zu räumen.
In der Praxis bedeutet das: Führungskräfte müssen sowohl das Warum als auch das Was klar kommunizieren. Aber mindestens ebenso wichtig und viel schwieriger für die Betroffenen: Führungskräfte müssen lernen, loszulassen. Sie müssen ihren Teams die Freiheit geben, selbst herauszufinden, wie sie die vorgegebenen Ziele innerhalb gesetzter Grenzen erreichen.
Hier kann ich aus meiner täglichen Praxis im Umgang mit Führungskräften sechs Tipps geben, die aus meiner Sicht ganz wesentlich für einen erfolgreichen Kulturwandel zu mehr Agilität sind:
Die Aufgabe von agilen Führungskräfte ist das Setzen von Zielen und Grenzen, um Teams anzuregen, eigene Entscheidungen zu treffen. Das macht traditionelle Lenkungsausschüsse überflüssig und im schlimmsten Fall kontraproduktiv. Für die erwartete Transparenz sorgen Teams durch agile Praktiken wie iteratives Arbeiten und aktives Engagement der Führungskräfte in regelmäßigen Demos.
Die primäre Aufgabe der Führungskräfte ist die Unterstützung ihrer Teams. Die Meeting-Agenda von Führungskräften sollte daher Themen enthalten, die die Ausrichtung und Autonomie der Teams verbessern. Alles andere hat wenig Relevanz und ist überflüssig.
Ein wesentliches Prinzip von agilem Arbeiten ist Testen und Lernen. Teams entwickeln daher “MVPs“ (Minimum Viable Products) für ihre externen oder internen Kunden. Und ganz wichtig: Sie testen Ergebnisse gemeinsam mit ihren Kunden. Dies erfordert eine 180-Grad-Abkehr vom bisher oftmals vorherrschenden Prinzip, alle notwendigen Schritte bis zur Auslieferung eines Produktes bereits vorab perfekt durchgeplant zu haben. Agile Teams teilen ihre Ideen sehr früh mit und bitten ihre Kunden um Feedback, bevor sie weiterarbeiten. Agile Führungskräfte passen sich dieser Arbeitsweise an und fördern aktiv das Testen und Lernen.
Traditionelle Führungskräfte bewerten ihre Mitarbeiter häufig nur auf der Basis funktionaler (technischer) Erfahrung und Kompetenz. Agile Führungskräfte bewerten hingegen auch die Verhaltensweise eines Mitarbeiters. Dazu zählt die Fähigkeit zur Zusammenarbeit im Team, Flexibilität, Lernfähigkeit, Neugier. Diese Eigenschaften halte ich für mindestens genauso wichtig wie die Sachkunde. Denn nur, wenn diese Eigenschaften vorhanden und an die Kultur einer agilen Organisation angepasst sind, kann sich auch die fachliche Kompetenz voll entfalten.
Im Übergang von traditioneller zu agiler Arbeitsweise werden sich nicht alle Führungskräfte an die neue Kultur anpassen wollen oder können. Insbesondere loyale Führungskräfte in solchen Fällen freizusetzen, ist oft nicht einfach. Es zu unterlassen, ist jedoch kritisch, da diese Führungskräfte sonst als Bremser wirken können. Hier erlebe ich das größte Konfliktpotenzial.
Sichtbare Veränderungen sind ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Transformation. Erfolgreiche Unternehmen haben die Veränderung in der obersten Führungsriege begonnen. Zum Beispiel ersetzen sie große Führungskräftebüros durch einen gemeinsamen „Führungskräftetisch“ oder die Führungskräfte treffen sich zum wöchentlichen Austausch mit ihren Mitarbeitern, um Erfolge und Misserfolge zu besprechen und daraus zu lernen. Alte Arbeitsweisen durch neue zu ersetzen, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern auch sichtbar im täglichen Umgang, bringt engagierten Führungskräften doppelte Vorteile: Es sichert nicht nur den Erfolg der Veränderung, sondern es zeigt auch allen Mitarbeitern, dass Sie als Führungskraft willens sind, die wichtigste Aufgabe für das Unternehmen zu übernehmen: das Führen in die Zukunft.
Benjamin Rehberg is a Managing Director & Partner with BCG’s NYC Office. He works primarily in the Financial Services sector across Banking, Insurance and Payments on multiple Digital, technology and operational issues. He focuses in particular on Digital transformation, Technology, Agile and Organization & Governance related topics. His clients include large, global Financial Services institutions in North America, as well as select clients globally in other industries (Auto, Consumer, etc.).
Benjamin Rehberg is the global co-lead for the topic Agile at Scale. He is further a member of the global leadership team of the Technology Advantage practice and has co-authored numerous articles about Agile Transformation. Prior to BCG, Benjamin Rehberg worked as a consultant with IBM Global Services in Germany. He holds a master in business administration.