Die Corona-Krise hat das Wirtschaftsgeschehen in Deutschland heftig getroffen und massiv beeinträchtigt. Nach dem gravierenden Einbruch in der ersten Jahreshälfte 2020 scheint die deutsche Wirtschaft die Folgen der Pandemie nun besser als gedacht verkraftet zu haben. Nur eine Momentaufnahme oder Realität? Um zu erfahren, welche Maßnahmen Unternehmen bei krisenbedingten Umsatzrückgängen ergreifen können und welche Fallen im Zusammenhang mit der Insolvenzverordnung unbedingt zu vermeiden sind, hat sich Helmut Karrer, Vorstand bei A.B.S. Global Factoring, mit Michael Hofnagel und Ralf Presber von der PERICON Unternehmensberatung getroffen. Lesen Sie hier, welche Tipps die erfahrenen Experten geben konnten.
Helmut Karrer: Welche Branchen sind und waren denn nach Ihren Analysen besonders von der Corona-Krise betroffen?
Ralf Presber: Betrachtet man das BIP, so ist dieses gesamtwirtschaftlich im 1. Halbjahr 2020 um 60 Mrd.€ gesunken. Das ist eine Reduzierung von 5,2%. Natürlich sind aber nicht alle Branchen gleichermaßen betroffen. Während die Baubranche um 10 Mrd.€ wächst, verzeichnet das Hotel- und Gastgewerbe einen Rückgang von 10 Mrd.€ und ist durch den zweiten Lockdown besonders stark belastet. Daher rechnen wir im Tourismus und der Gastronomie selbst nach Inanspruchnahme der gewährten Hilfen mit einer Insolvenzquote von fast 40%.
Michael Hofnagel: Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei den unternehmensnahen Dienstleistungen – darunter fallen die Werbebranche, Veranstaltungen, Messen und Freizeitbereiche. Auch hier erwarten wir einen Rückgang um 15 Mrd. €. Der Umsatz des verarbeitenden Gewerbes verringert sich um 40 Mrd.€, insbesondere, weil Zulieferer aus dem Ausland nicht liefern können (Zulieferkette) sowie aufgrund eines globalen Nachfrageeinbruchs.
Abbildung 1: Umsatzrückgang (Quelle: Statista 2021)
Helmut Karrer: Das sind besorgniserregende Zahlen. Welche Hilfestellungen bietet der Staat den Unternehmern?
Ralf Presber: Der Staat hat ein Bündel verschiedener Maßnahmen geschnürt: Dazu zählen die Corona-Soforthilfe, die November- und Dezemberhilfe, die Überbrückungshilfe I bis III, der KfW-Schnellkredit sowie die Maßnahmen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) für Corona und Unternehmen in Schwierigkeiten. Ergänzt werden diese Maßnahmen durch diverse Digitalisierungsförderprogramme und die bis zum 31.12.2020 gültige Umsatzsteuersenkung auf 16%.
Helmut Karrer: Sie nennen hier eine ganze Reihe von Förderangeboten. Doch kommen diese auch bei den Unternehmen an und wie wirken die staatlichen Hilfsmaßnahmen?
Michael Hofnagel: Ich stütze meine Antwort auf eine Studie der Universität Mannheim. Demnach konnte die staatliche Hilfe die Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Branchen insgesamt um 35% steigern. Dennoch zeigten sich große, branchenspezifische Unterschiede.
Auch regionale Unterschiede wurden ausgemacht:
Ralf Presber: Weitere Unterschiede wurden zwischen Umsatz und Ertragsrückgang ermittelt:
Generell können wir aus unserer eigenen Praxis feststellen, dass Abschläge oft zu niedrig bemessen sind oder vom Zeitfenster her einfach zu spät eintreffen. Die Erstellung der Anträge ist aufwendig und kompliziert. Das führt dazu, dass viele UnternehmerInnen nicht die Möglichkeit haben, die Anträge selbst zu erstellen. Wäre das möglich, könnte die Hilfe schneller und unbürokratischer umgesetzt werden. Zudem ist die Bearbeitungszeit der Anträge in der Praxis sehr lange und es dauert oft Monate, bis die Auszahlung eintrifft.
Es sind auch im Nachgang einige Missverständnisse aufgekommen. Möglicherweise müssen Unternehmen Überbrückungshilfe II zurückzahlen, weil die Politik im Nachhinein die Zugangsbedingungen verändert hat.
Auch bei den November- und Dezemberhilfen könnte es der Fall sein, dass Unternehmen mit weniger Hilfe rechnen können als ursprünglich gedacht. Das Chaos ist ein Grund dafür, dass die Mittel nur schleppend abgerufen werden. Eine Analyse der deutschen Wirtschaft (IW) hat ergeben, dass Ende 2020 von den Überbrückungshilfen I und II erst acht Prozent der Gelder abgeflossen sind und bei den November- und Dezemberhilfen waren es zum Jahresende wegen IT-Problemen sogar nur vier Prozent.
Helmut Karrer: Erwarten Sie also die viel beschworene Insolvenzwelle?
Ralf Presber: Die Bundesregierung hat die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung zum 01.01.2021 wiedereingesetzt. Daher ist für alle Geschäftsführer besondere Vorsicht geboten, da sie einem erheblichen Haftungsrisiko unterliegen. Gemäß § 64 GmbHG haftet der Geschäftsführer mit seinem privaten Vermögen für bestimmte Zahlungen, die nach Eintritt der Insolvenzreife getätigt wurden.
Wir raten unseren Klienten daher zu absoluter Vorsicht, wenn folgende Szenarien eintreten, die ich hier der Übersichtlichkeit halber nur stichpunktartig anreiße:
▪ Maximal 21 Tage Zeit den Insolvenzantrag zu stellen
▪ Haftung mit privatem Vermögen
▪ Kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre geahndet werden
▪ Verhinderung der Insolvenzverschleppung durch laufende Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens, frühzeitige Krisenerkennung
▪ Klare & eindeutige Abgrenzungen der Geschäftsführungsaufgaben
▪ Pflicht der Unterrichtung bleibt
▪ Vorteil: Aufgabenaufteilung kann andere GF bei der Pflichtverletzung entlasten
▪ Eine rechtlichBeratung sollte dem Unternehmen unterstützend zur Seite stehen, um zum Beispiel das Haftungsrisiko zu minimieren.
▪ Eine weitere Unterstützung kann ein Unternehmensberater bieten, da er zum Beispiel berechtigt ist, ein IDW S6 zu erstellen.
Michael Hofnagel: befindet sich ein Unternehmen bereits im Insolvenzverfahren ist ebenfalls Vorsicht geboten, z.B. bei der Anmeldung von Insolvenzforderungen. Nach § 178 Abs. 1 InsO können Geschäftsführer und Insolvenzverwalter Forderungsanmeldungen von Gläubigern widersprechen, wenn der Zeitpunkt unbegründet ist.
Sind die Forderungen jedoch erst einmal in der Insolvenztabelle festgestellt, kann sich der Geschäftsführer in einem späteren Haftungsprozess nicht darauf berufen, dass die Forderungen unbegründet waren. Daher ist unser Rat, dass Geschäftsführer unbedingt am Verfahren zur Feststellung von Insolvenzforderungen teilnehmen und Forderungsanmeldungen bestreiten sollten, um sich Verteidigungsmöglichkeiten in einem späteren Haftungsprozess offen zu halten.
Helmut Karrer: Das ist ein wertvoller Hinweis! Welchen Rat können Sie Unternehmen darüber hinaus geben, um ihre Handlungsspielräume möglichst groß zu halten?
Michael Hofnagel: Ganz wichtig ist, Kompetenzen im Geschäftsmodell zu überprüfen und neue Geschäftsfelder zu nutzen. Vielleicht ist es möglich, vorhandene Kernkompetenzen für andere Zwecke zu nutzen beispielsweise unter Einsatz eines Quick Checks. Prominente Beispiele sind hier die Produktion von Atemschutzmasken statt Textilien oder der Einsatz von Beleuchtungstechnik an öffentlichen Orten anstatt auf Messen. Essentiell ist auch eine ehrliche und richtige Einschätzung der Marktentwicklung und der Kundenbedürfnisse.
Ralf Presber: Hier möchte ich auch noch die schon vielzitierte Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen sowie die Bedeutung einer detaillierten Planung für 2021/22 hervorheben.
Helmut Karrer: Den letzten Punkt kann ich aus meiner Erfahrung nur unterstreichen. Gerade für die Finanzierung ist eine saubere Planung Grundvoraussetzung. Welchen Tipp würden Sie Unternehmern und Unternehmerinnen generell geben, um ihre Finanzierung zu sichern?
Michael Hofnagel: Als erstes müssen bestehende und zukünftige finanzielle Lücken geschlossen werden. Unternehmen sollten also prüfen, ob sie sich für die KfW-Schnellkredite qualifizieren, die noch bis Juni 2021 verlängert wurden.
So ein Kredit kann sowohl von Unternehmen genutzt werden, die negativ von Corona betroffen sind und bspw. Umsatzrückgänge zu verzeichnen haben, als auch von Unternehmen, die von Corona profitieren konnten, bspw. durch einen Produktionsanstieg und in der Folge den damit verbunden Liquiditätsbedarf nicht mehr decken können.
Ralf Presber: Um ein paar konkrete Zahlen dazu zu nennen: Im Jahre 2020 wurden mehr als 95.000 Kreditanträge entschieden, darunter waren 97% KMU mit einem Kreditvolumen kleiner als 3 Millionen Euro. Hier benötigt das Unternehmen keine Risikoprüfung seitens der Hausbank oder KfW.
Der Kredithöchstbetrag hängt von der Unternehmensgröße ab und liegt bei Unternehmen
Helmut Karrer: Vielen Dank für diese ausführliche Information. Viele Unternehmen können sicherlich mit einem KfW-Schnellkredit die akuten Lücken füllen. Doch was kommt dann? Welche Möglichkeiten sehen Sie denn als weitere, nachhaltige Finanzierungsmöglichkeiten?
Ralf Presber: Sie haben Recht: langfristig müssen noch weitere Finanzierunginstrumente ins Boot geholt werden, um das Überleben zu sichern. Ich denke hier vor allem an Bürgschaftsbanken, Lieferantenkredite, Leasing und nicht zuletzt natürlich Factoring. Aber hier sind Sie ja der richtige Ansprechpartner für betroffene Unternehmen 😉
Helmut Karrer: Jederzeit gerne – aus dem Mittelstand für den Mittelstand ist schon seit 25 Jahren unsere Devise bei der Unternehmensfinanzierung und das bewährt sich auch gerade in schwierigen Zeiten wie diesen. Vielen Dank für diese wertvollen Informationen Ihnen beiden.
Die Pericon Unternehmensberatung ist eine inhabergeführte und unabhängige Beratungsgesellschaft und seit über 30 Jahren in Wiesbaden und Umgebung fest etabliert. Loyalität zu den Mandanten und die Begeisterung für individuelle Herausforderungen zeichnen die Beratungsgesellschaft aus.
Ralf Presber ist Geschäftsführender Gesellschafter von Pericon und als Vorstandsmitglied im Fachverband „Unternehmensführung + Marketing“ im Bundesverband deutscher Unternehmensberater e.V. Bonn aktiv. Er hält Lehraufträge für Unternehmensführung an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden sowie an der European Business School (EBS) und ist Autor zahlreicher Publikationen.
Michael Hofnagel ist Partner bei Pericon, Bürgermeister a.D. der Stadt Taunusstein und hat diverse Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsmandate inne.