Schwankende Börsenkurse und unterbrochene Lieferketten: Die aktuellen Weltgeschehnisse haben Unternehmen und Kapitalmärkte fest im Griff. Wann wieder Normalität einkehrt, ist noch schwer abzusehen. Das belastet den Geschäftsalltag vieler Unternehmer erheblich. Auch der Markt für Fusionen und Übernahmen, der M&A-Markt, ist davon betroffen. Gerade bei bereits länger geplanten Transaktionsprozessen stellt sich daher vor der Übernahme die Frage: Wie gehen Verkäufer und Investoren mit der gestiegenen Unsicherheit um? Um hier mehr zu erfahren, hat sich Eva Sartorius, Geschäftsleitung A.B.S. Global Factoring, mit Carsten Häming, Managing Partner der Corporate Finance Mittelstandsberatung GmbH, zum Interview getroffen.
Eva Sartorius: Das Jahr 2020 hat verschiedene Branchen mit unterschiedlicher Härte getroffen. Nun hat sich einiges seit dem Ausbruch der Pandemie entwickelt. Wie haben Sie den M&A-Markt in den vergangenen Monaten erlebt und wie schätzen Sie die Zukunftsaussichten ein?
Carsten Häming: Wir konnten in der Tat eine sehr bewegte Zeit erleben, welches von Veränderungen, Chancen und Herausforderungen geprägt war. Für viele Unternehmer im Mittelstand ist die Corona-Pandemie richtungsweisend für ihre weitere Zukunft gewesen. So stellen Geschäftsführer zunehmend ihr Geschäftsmodell und einzelne Geschäftsbereiche auf den Prüfstand und besinnen sich auf ihre Kernkompetenzen zurück. Das spüren wir als M&A-Berater insbesondere, da zunehmend Ausgliederungen von Unternehmensteilen in Form von Carve-outs geprüft werden. Generell lässt sich außerdem beobachten, dass viele geplante Verkäufe solventer Unternehmen verschoben wurden, da sich das Bewertungsniveau insgesamt reduziert hat. Zudem sind viele Investoren deutlich risikoscheuer geworden. Bei der Unternehmensnachfolge zeigt sich hingegen ein ambivalentes Bild. Hier kommt es ganz auf die individuelle Situation des Unternehmers an. Manche Geschäftsführer der älteren Generation ziehen ihre Nachfolgeregelung sogar vor, da sie selbst nicht mehr die Kraft haben eine neue Krise zu durchleben. Andere wiederum wollen ihr Lebenswerk nicht unter Wert verkaufen und warten, bis die Umsätze und Erträge wieder steigen und sie einen höheren Preis erzielen können. Für die Zukunft sehen wir insbesondere im Distressed M&A-Bereich einen starken Anstieg der Fallzahlen auf uns zukommen. Durch die bisherige Aussetzung der Insolvenzantragspflicht rechnen wir im kommenden Jahr mit einer Vielzahl von Notverkäufen und Insolvenzen. Für einige Unternehmen bieten sich hier wiederum attraktive Möglichkeiten für weitere interessante Zukäufe und weitreichende Marktkonsolidierungen. Wie gesagt, es ist ein sehr dynamisches Jahr, welches einschneidende Veränderungen in alle Richtungen mit sich gebracht hat und dessen Nachwirkungen noch in den nächsten Jahren zu spüren sein werden.
Eva Sartorius: Wie sollten Mittelständler auf die aktuelle Krisensituation reagieren?
Carsten Häming: Wir empfehlen unseren Mandanten zuallererst eine fachgerechte Finanzanalyse inklusive einer detaillierten Liquiditätsplanung durchzuführen. Hier sehen wir im Mittelstand oftmals noch einen deutlichen Nachholbedarf. Jedem Geschäftsführer sollte klar sein, wie es um die Liquiditätslage des Unternehmens bestellt ist, mit welchen Geschäftsbereichen das Geld verdient oder verloren wird und inwiefern sich der Cashflow verändert, sobald antizipierte Erwartungen nicht eintreffen. Aus einem integrierten Planungsmodell mit einer Szenarioanalyse leiten sich dann Handlungsempfehlungen ab. In jedem Fall macht es in Krisenzeiten Sinn die Kosten zu senken, das eigene Geschäftsmodell neu zu evaluieren und alternative Ertragsquellen zu prüfen. Auch eine Rückbesinnung auf die eigenen Kernkompetenzen kann ein vielversprechender Lösungsansatz sein. Außerdem empfehlen wir vielen Unternehmern, die schon jetzt von Liquiditätsengpässen betroffen sind, die Möglichkeit einer Minderheitsbeteiligung durch einen externen Investor (Family Office, Private Equity) in Betracht zu ziehen. Sofern dieser neben frischem Kapital auch zusätzlichen Mehrwert (z.B. Netzwerk, Expertise, Know-how) einbringt, kann das Unternehmen sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen.
Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass manche Unternehmen auch von der aktuellen Situation profitieren. Für diese solventen Mittelständler bietet sich aktuell eine einmalige Gelegenheit strategisch interessante Unternehmen oder krisengebeutelte Konkurrenten verhältnismäßig günstig zu übernehmen. Potentielle Synergien lassen sich dabei entlang der gesamten Wertschöpfungskette finden. Die typischen Folgen einer erfolgreichen Integration nach dem Abschluss des Kaufprozesses sind neben einer Umsatzsteigerung und Ertragsverbesserung, ein erweiterter Kundenstamm, eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Lieferanten oder signifikante Einsparungen. Allerdings kann auch ein Zukauf mit Blick auf die eigene Digitalisierung interessant sein. So kann die Übernahme eines Startups für viele Mittelständler eine maßgebliche Verjüngungskur darstellen. Hier kommt es wie immer auf eine Analyse der jeweiligen Rahmenbedingungen an, welches Investment im Einzelfall den größten Mehrwert bietet.
Eva Sartorius: Herr Häming, Sie begleiten seit mehr als zehn Jahren M&A-Transaktionen. Sehen Sie sich in Zeiten von Corona mit besonderen Herausforderungen konfrontiert?
Carsten Häming: Allgemein ist jeder M&A-Prozess mit Herausforderungen verbunden, da jede Transaktion individuell und auf ihre eigene Art und Weise komplex ist. Eine besondere Herausforderung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stellt jedoch die wachsende Anzahl an Notverkäufen dar. Hierbei wird ein Unternehmen, welches wirtschaftlich angeschlagen ist, unter Zeitdruck verkauft. Als M&A-Berater sind wir auf der Verkäuferseite natürlich stets bestrebt die individuellen Ziele für unsere Mandanten, wie etwa die langfristige Sicherung des Standortes, den Erhalt der Arbeitsplätze oder den höchstmöglichen Kaufpreis, zu erreichen. Werden wir allerdings erst beauftragt nachdem das Kind sprichwörtlich bereits in den Brunnen gefallen ist, befinden wir uns in einer schwierigen Verhandlungsposition. Hinzu kommt die zeitliche Dringlichkeit. Während ein klassischer M&A-Prozess zumeist zwischen sechs und neun Monate in Anspruch nimmt, steht für einen Notverkauf in der Regel nur die Hälfte dieser Zeit zur Verfügung. All das wissen natürlich auch die potentiellen Käufer. Aus der Sicht eines M&A-Beraters kommt erschwerend hinzu, dass die Verkäufer nach zuletzt vielen guten Jahren oftmals unrealistisch hohe Erwartungen an den erzielbaren Verkaufspreis haben. Natürlich versuchen wir durch eine professionelle Käufersuche, den Aufbau einer attraktiven Selling Story und eine geschickte Verhandlungsführung den bestmöglichen Deal zu erhalten. Dennoch raten wir allen Unternehmern, einen Verkaufsprozess bereits frühzeitig zu beginnen, bevor sie mit dem Rücken gegen die Wand stehen, damit sie für ihr Lebenswerk auch mit einem angemessenen Preis belohnt werden.
Carsten Häming, Managing Partner der Corporate Finance Mittelstandsberatung GmbH, verfügt durch seine Tätigkeit in der Corporate Finance Beratung über eine mehrjährige Transaktionserfahrung im deutschsprachigen und internationalen Corporate Finance Markt. Seit 2009 hat er diverse Mandanten bei Desinvestitionen, Akquisitionen, Unternehmensnachfolgen und Sondersituationen begleitet. Er war für Konzerne, für große und mittelständische sowie für öffentliche Unternehmen sowohl auf der Kauf- als auch auf der Verkaufsseite beratend tätig. Kontakt: info@cf-mb.de, 0211/ 86 29 390 Weiterführende Informationen: www.cf-mb.de